Personen, die Antikörper gegen das Erkältungs-Coronavirus HCoV-OC43 aufweisen, erkranken seltener schwer nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Kreuzimmunisierung wurde kürzlich in zwei Studien bestätigt.

Schutzschild-Corona

Hintergrund

Saisonale Coronaviren lösen harmlose Erkältungsinfekte mit milder Symptomatik aus. Weltweit zirkulieren vier davon: HCoV-229E, HCoV-NL63, HCoV-HKU1 und HCoV-OC43. Das Immunsystem reagiert mit der Produktion von Antikörpern und T-Zellen. Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster am Universitätsklinikum Münster (UKM) analysierten die Relevanz einer Seroreaktivität gegen saisonale humane Coronaviren hinsichtlich schwerer COVID-19-Verläufe. Das Ergebnis: Patienten mit kritischer SARS-CoV-2-Infektion hatten signifikant niedrigere Werte von Anti-HCoV-OC43-NP als andere COVID-19-Patienten.

Zielsetzung

Eine der großen Herausforderungen der aktuellen Pandemie ist der relativ hohe Anteil an COVID-19-Patienten mit kritischem Erkrankungsverlauf – inklusive überfüllter Intensivstationen. Eine frühzeitige Identifikation und die Einleitung entsprechender Schutzmaßnahmen von Personen mit einem erhöhten Risiko für eine schwere SARS-CoV-2-Infektion könnten einem drohenden Kollaps des öffentlichen Gesundheitswesens entgegenwirken.

Methodik

Kürzlich wurde in einer vorläufigen Pilotstudie mit 60 Patienten publiziert, dass das Vorhandensein von IgG-Antikörpern gegen das saisonale Coronavirus HCoV-OC43 mit einem milden Verlauf und einem geringeren Bedarf an intensivmedizinischer Therapie von COVID-19 assoziiert ist. [1] Eine nicht-interventionelle Multicenter-Studie mit 296 Probanden aus Deutschland und Frankreich sollte die Ergebnisse validieren und die klinische Relevanz der Antikörper beurteilen. Dafür untersuchte ein Forscherteam intensivmedizinisch und ambulant betreute Patienten mit einer COVID-19-Diagnose, bestätigt durch RT-qPCR. Für jeden Patienten wurde die am nächsten nach Symptombeginn gewonnene Serum- oder Plasmaprobe mittels Immunoblot auf IgG-Antikörper gegen das Nukleokapsidprotein (NP) von HCoV 229E, NL63, OC43 und HKU1 analysiert.

Ergebnisse

Nach Auswertung der Daten hatten stationäre Patienten ohne Anti-HCoV-OC43-NP-Antikörper ein erhöhtes Risiko für eine kritischen COVID-19-Verlauf (adjustierte Odds Ratio 2,68; 95%-KI 1,09–7,05). „Beide Studien belegen, dass im Vergleich zu anderen COVID-19-Patienten vor allem jene Patienten kritisch erkrankten, bei denen sich keine Antikörper gegen das sogenannte Nukleokapsid-Protein von HCoV-OC43 nachweisen ließen“, resümiert Professor Dr. Martin Dugas, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der Universität Münster. Neben einer vorausgegangenen Coronavirus-Infektion spielen zudem der Zeitpunkt ab dem 40. Lebensjahr und das Geschlecht eine erhebliche Rolle. In der Pilotstudie waren 17 der 19 intensivmedizinisch betreuten Patienten Männer im Alter von 50 bis 65 Jahren. „Wir haben auch in der Folgestudie keine signifikanten Unterschiede im Krankheitsverlauf feststellen können, unabhängig davon, ob die Patienten 40, 60 oder 80 Jahre alt waren, sofern keine schweren Vorerkrankungen vorlagen. Patienten in der zweiten Lebenshälfte, insbesondere Männer ohne OC43-Antikörper, hatten generell ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf“, erklärt Dugas.

Fazit

Die Multicenter-Studie bestätigt die Erkenntnisse der vorläufigen Pilotstudie. Patienten mit kritischem COVID-19-Verlauf, die eine Behandlung auf der Intensivstation benötigen, zeigten im Vergleich zu nicht-intensivpflichtigen-COVID-19-Patienten signifikant niedrigere Spiegel von Anti-HCoV-OC43-NP-spezifischen Antikörpern. Das bedeutet, dass vorangegangene Infektionen mit saisonalem HCoV-OC43 eine schützende Wirkung gegen kritische COVID-19-Erkrankungen haben. „Unsere daraus abgeleitete Empfehlung ist, dass OC43-Antikörper bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten gemessen und als Teil der Risikobewertung betrachtet werden“, so Professor Dr. Hartmut Schmidt, Direktor der Medizinischen Klinik B (Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Klinische Infektiologie) am UKM. Die Testung ist mittels eines preiswerten kommerziellen Tests zuverlässig machbar. Schmidt weiter: „Wir haben mit der Testung erstmalig eine Screeningmöglichkeit, aus der wir eine Prognose für den Krankheitsverlauf ableiten und neue Therapiemöglichkeiten bei Covid-19 für diejenigen Patienten nutzen können, die sie am meisten benötigen.“

Ferner könnten sich die Erkenntnisse der Studie auf die Impfstrategie auswirken. Es ist allgemein anerkannt, dass hochbetagte Personen vorrangig geimpft werden sollten. Wenn das Fehlen von HCoV-OC43-spezifischen Antikörpern jedoch ein höheres Risiko darstellt als ein hohes Alter, würden vor allem HCoV-OC43-seronegative Personen von der Impfung profitieren. Dugas fordert mit Blick auf die Daten, „die aktuelle Impfstrategie auf Personen ab 40 Jahren auszurichten“. Quelle: Medical Tribune