Eine 56-Jährige wird von ihrem Freund in die hausärztliche Praxis gebracht, weil sie plötzlich völlig durch den Wind ist. Sie kann nicht mehr ruhig sitzen, schweift ab beim Reden und hat Probleme mit der Aufmerksamkeit.
Seit zwei Tagen verhalte sich seine Partnerin merkwürdig, erklärte der neue Freund der Patientin. Fieber, Kopfschmerzen und Lichtempfindlichkeit verneinte die Frau. Auch gab sie an, weder Drogen noch andere als die verordneten Medikamente eingenommen, keinen Geschlechtsverkehr außerhalb der Beziehung gehabt zu haben und nicht auf Reisen gewesen zu sein. Die klinische Untersuchung war unauffällig. Der Hausarzt hatte die Frau erst kürzlich gesehen und ihr wegen Beziehungsproblemen Citalopram verschrieben.
Blutbild und CT waren unauffällig
An folgende Differenzialdiagnosen dachte der Kollege zu diesem Zeitpunkt:
- akuter Verwirrtheitszustand
- Enzephalitis
- fokaler nicht-konvulsiver epileptischer Anfall
- serotonerges Syndrom
Er überwies die Patientin zur weiteren Abklärung in die nächstgelegene Notaufnahme. Dort wurde zunächst ein Montreal Cognitive Assessment (MoCA) durchgeführt, berichten Dr. Eleftheria Kampouri und ihre Kollegen vom Universitätsklinikum Lausanne. Die Patientin erreichte eine Punktezahl von 17/30, was auf eine diffuse kognitive Störung hindeutet. Blutbild und CT waren unauffällig. Die Lumbalpunktion ergab eine lymphozytäre Pleozytose mit 560Leukozyten/mm3 (Normwert <5Zellen/mm3) mit einem 80%igen Lymphozytenanteil. Ferner war das Verhältnis von Blut- zu Liquorglukose auf 37,5 % gesunken (Normwert > 60 %), der Laktat- (3,64 mmol/l; Normwert 1,3–2,6 mmol/l) und der Proteinwert (1656 mg/l; Normwert 150–450 mg/l) waren dagegen erhöht. Bei der direkten Untersuchung des Liquors konnten keine Keime nachgewiesen werden, sodass die Kollegen eine Liquorkultur anordneten.
Bei dem vorliegenden klinischen Erscheinungsbild einer Enzephalitis mit lymphozytärer Pleozytose klärten die Kollegen als nächstes eine Infektion mit Herpes-simplex-Viren oder Listeria monocytogenes ab. Um keine Zeit zu verlieren, begannen sie noch vor Erhalt der Ergebnisse eine intravenöse Therapie mit Aciclovir und Amoxicillin. Die gleichzeitige Suche nach antineuronalen Antikörpern und ANA/ANCA als Hinweis auf eine limbische Autoimmunenzephalitis bzw. isolierte Vaskulitis blieb erfolglos. Als nach 48 Stunden sowohl die Bakterienkultur als auch die PCR negativ waren, wurden weitere mögliche infektiöse Ursachen wie Tuberkulose, Syphilis, Lyme-Borreliose, FSME und HIV abgeklärt. Das Schädel-MRT zeigte eine Diffusionsstörung im Bereich des Hippocampus.
Schließlich wurden die Schweizer fündig: Die Borrelia-burgdorferi-Serologiewar hinsichtlich der IgG-Antikörper positiv (IgM-Antikörper negativ). Die Kollegen vermuteten eine Meningoenzephalitis und begannen eine intravenöse Behandlung mit Ceftriaxon. Die Diagnose einer Neuroborreliose konnte dann mittels Bestimmung des Liquor-Serum-Index, der die intrathekale Synthese des Bakteriums nachweist, in Kombination mit dem klinischen Erscheinungsbild und der lymphozytären Pleozytose gestellt werden. Bei starkem Neuroborrelioseverdacht trotz negativem Liquor-Serum-Index kann insbesondere in der Frühphase die Bestimmung des neuroinflammatorischen Biomarkers CXCL13 diagnostisch hilfreich sein.
Nach der Antibiose war die Kognition wieder normal
Die Patientin sprach gut auf die Antibiose an, die ambulant 21 Tage lang fortgesetzt wurde. Nach Ende der Behandlung suchte sie erneut ihren Hausarzt auf. Neurologisch und kognitiv zeigten sich keine Auffälligkeiten mehr (MoCA 28/30). Allerdings klagte die 56-Jährige über Kopf- und diffuse Muskelschmerzen sowie eine ausgeprägte Asthenie.
Kopf- und Muskelschmerzen verschwinden wieder
Solche unspezifischen Symptome kommen bei einem kleinen Teil der Patienten vor, so die Autoren. Sie sind nicht Zeichen einer persistierenden Infektion und erfordern somit keine verlängerte Antibiose. In der Regel klingen die Beschwerden innerhalb von sechs Monaten nach Therapieende ab – so auch in diesem Fall. An einen Zeckenstich erinnerte sich die Patientin übrigens nicht. Bei der Anamnese hatte sie lediglich berichtet, gelegentlich im Wald spazieren zu gehen. Quelle: Kampouri E et al. Swiss Med Forum 2018; 18: 924-928